Im Westen viel Neues

 

Eine Weile haben wir uns nun schon nicht mehr gemeldet. Höchste Zeit euch wieder auf dem Laufenden zu halten… In den vergangenen 4 Wochen ist nämlich einiges passiert. Von 4800m gings runter bis auf 150m unter den Meeresspiegel, kalte Nächte im warmen Schlafsack wurden durch laue Nächte unter dem Sternenhimmel in der Wüste getauscht und statt chinesischem Essen kommen hier, im äussersten Westen von China, inzwischen Gerichte aus Zentralasien auf den Teller. Nun aber der Reihe nach.

Wellblech gibt’s in China nicht nur auf den Dächern…
Unsere Velotaschen sind mit Essen für die nächsten sechs Tage überfüllt, nun kommt noch ein Stapel warmes Fladenbrot direkt vom Ofen dazu. Überladen rollen wir also los und zweigen nach kurzem auf eine nigelnagelneu geteerte Strasse ab. Wir sind wahrscheinlich die ersten Velofahrer die nun auf dieser, erst einen Monat jungen, Teerstrasse gegen Westen düsen. Das das sorgenlose dahingleite auf dieser Strasse nicht von Dauer ist, wissen wir aber bereits. Nach 40km werden wir mit dem Belag konfrontiert der uns während der nächsten Woche begleiten wird: WELLBLECH.
Natürlich kein wirkliches Wellblech, aber optisch ziemlich ähnlich… Schotterstrassen entwickeln mit der Zeit eine unangenehm holprige Wellenoberfläche, die uns Velofahrer ganz schön durchschüttelt.
Inzwischen sind wir auf einem Hochplateau angekommen, dass sich für mehrere Hundert Kilometer nach Westen ausdehnt und dabei nie unter 4300m hoch gelegen ist. Die Gegend ist entsprechend sehr spärlich bewachsen. Umso mehr erstaunt aber die Menge an Wildtieren. Corina zählt in zwei Stunden ganze 83 Gazellen! Hätten wir Holzkohle dabei gäbe es vielleicht Rehrücken zum Znacht ;-) Heute geht’s aber nicht erstrangig um’s Essen, sondern um die beiden Hochgebirgsseen, welche die Quelle des „Gelben Flusses“ sind, der über 5000 km bis nach Shanghai fliesst und somit der viertlängste Fluss der Welt ist. Mit ihrer tiefblauen Farbe bilden die Seen einen wunderschönen Kontrast zur leichten Blumenkohlbewölkung und den grünen Wiesen. Am Abend finden wir einen schönen Campingspot auf einer schmalen Landzunge weit aussen im See. Statt üblichem Waschen am Ufer wagen wir diesmal einen Sprung ins kühle Nass. SEHR erfrischend… Die Badisaison ist hiermit auch in Tibet eröffnet!!!

Das die Badesaison in dieser Höhe nicht von langer Dauer ist haben wir uns gedacht, aber dass am nächsten Morgen gerade Schnee liegen würde dann doch nicht… Zum Glück ist es nur ein feines „Schäumchen“. Das Wetter hier ist rauh und so folgen auf Sonnenschein innert Kürze rabenschwarze Wolken und ab und zu ein kurzer aber heftiger Graupelschauer. So werden die Fahrtage kurz und die Romee- und Yazheerunden im Zelt umso länger… Im Gegensatz zum launischen Wetter ist der Empfang im ersten Dorf nach drei Tagen umso wärmer. Wir werden in die geheizte Stube neben den Ofen gebeten und mit endlosen Tassen Tee und Gebäck verköstigt.

Planänderung
Unser Plan war es von Maduoxian direkt nach Norden zu fahren. Da uns aber niemand garantieren kann, dass die Strasse wirklich durchgehend ist und zudem ist die Wasserversorgung über 150km ein Problem ist, entschliessen wir uns für den „sichere“ Umweg. Manchmal vermissen wir schon die perfektionistischen Karten der Schweiz. Ist halt schon schön wenn die auf der Karte eingezeichnete Strasse in Wirklichkeit auch existiert ;-)

Fischer’s Philipp fischt frische Fische…
Am Abend schlagen wir unser Zelt neben einem kleinen Bach auf in dem es von Fischen nur so wimmelt. Nachdem wir selber und unsere Kleider frisch gewaschen sind und an der Sonne hängen (naja, natürlich nur die Kleider ;-), geht es zum Projekt Fischfang über. Es wäre doch nur zu schön unser vegetarisches Menu noch mit frischem Fisch aufzupeppen. Richtig an Jagdglück glaubt niemand von uns, aber einen Versuch ist es wert. Der erste Versuch mit einer Art Reuse misslingt kläglich. Statt wie geplant bachabwärts in die Reuse, schwimmen die Fische bachaufwärts. Wer hätte gedacht, dass Fische so schlau sind??? ;-) Nicht wirklich überzeugt, mache ich noch einen Versuch von Hand einen Fisch zu packen. Und tatsächlich, nach einigen erfolglosen Versuchen erwische ich tatsächlich einen Fisch. Einige Minuten später ist genug für ein Nachtessen herausgefischt und kurz darauf brutzeln die Fische bereits in der Bratpfanne! Frischer geht’s nicht!

Durch die ungeplante Streckenänderung gilt es unsere Vorräte nochmals aufzustocken. Im nächsten kleinen Dorf fragen wir herum wo wir die verschiedenen Dinge kaufen können und werden von einem hilfsbereiten Tibeter herumgeführt. Bald sind unsere Velotaschen wieder mit Esswaren und Benzin für die nächsten Tage gefüllt und wir werden noch in die Wohnung zum Tee gebeten. Umringt von den Kindern und kurz darauf auch noch vom neugierigen Dorfpolizisten, erzählen wir mit Händen und Füssen woher wir kommen und wohin dass es gehen so… Als kleiner „Znüni“ gibt es eine Schale frischer Quark mit Zucker. Gegessen wird mit Essstäbchen, was sich gar nicht so kompliziert herausstellt wie es tönt. Nach mehr als 350km durch „Niemandsland“ erreichen wir kurz darauf eine grössere Strasse und damit auch das erste Strassenschild nach 5 Fahrtagen…

Weicheier…
Beim „Eiertütschen“ am Mittag gibt es eine Sauerei… Statt hartgekocht sind diese trotz 12 Minuten Kochzeit immer noch weich. Trotz verlängerter Kochzeit reicht auf 4500m die verringerte Siedetemperatur anscheinend nicht mehr… Tage später haben wir im Flachland mit dem umgekehrten Phänomen zu kämpfen als wir uns dauernd die Lippen am wieder richtig heissen Kaffee verbrennen ,-)

Übernächster Stopp Lhasa
Einen Tag später spielt das Wetter wieder verrückt und da wir langsam aber sicher ein Bedürfniss nach Sonne und Wärme haben, versuchen wir unser Glück mit Autostopp. Die Strecke ist oft von buddhistischen Pilgern frequentiert, die mit Minibussen und kleinen Lieferwagen die Reise zur heiligen Stadt Lhasa in Tibet unternehmen. Tatsächlich haben wir Glück und finden ein Plätzchen im Verdeck eines Lieferungswagen. 200km später steigen wir wieder aus, eine Weiterfahrt in das tibetische Territorium würde uns wohl eine saftige Busse kosten. Am nächsten Tag erwischen wir ein Platz in einem Pickup und lassen uns nach Golmud chauffieren. Heute scheint nicht ein glücklicher Tag für die Lastwagenfahrer zu sein. Ganze drei umgekippte Lastwagen liegen am Wegrand.

Geschüttelt, nicht gerührt…
Als dann auch unser Fahrer des Nachtbusses schon nach wenigen Minuten eine Mauer „mitnimmt“ ist uns ein wenig mulmig zu Mute, aber glücklicherweise erreichen wir unser Ziel Dunhuang am nächsten Morgen gesund und unversehrt. Obwohl die Fahr bezüglich schlechten Strassen unter die Top 3 schafft. Wenn die Chinesen bauen, dann aber richtig… Ganze 300km der Strecke sind in Arbeit, der Verkehr wird über holprige und schlammige Nebenstrassen geleitet. Noch Tage später haben wir einen verspannten Nacken vom Geschüttle ;-)

Dunhuang, eine Oase mitten in der Wüste, verwöhnt uns wieder mit touristischer Infrastruktur und heissem Wetter. Wir geniessen das süsse Nichtstun im schattigen Garten unseres Hostels und decken uns auf dem Markt wieder mit süssen Früchten ein, die hier nun haufenweise zu Spottpreisen auf dem Markt auf Käufer warten.

Plantschen im Bewässerungskanal
Um unsere Zeit in China würdig zu beenden beschliessen wir noch einige Tage weiter nach Norden zu fahren, zum Ende der chinesischen Mauer. Weite Strecken führen durch die Wüste und wir planen unsere Wasserreserven und schätzen die Fahrzeiten zwischen den Dörfern ab. Schon am ersten Tag sind dann prompt die Informationen auf unserer Karte falsch. Kein Dorf auf den ganzen Strecke, aber an einer Raststädte gibts dann doch noch Wasser. So stocken wir für die nächsten Tage auf und rollen mit bis zu 9 Liter Wasser durch die Gegend. Bei 35 Grad im Schatten ist der Durst grösser als gewohnt. Um uns abzukühlen gönnen wir uns bei Gelegenheit jeweils ein erfrischendes Bad in einem Bewässerungskanal und machen eine lange Siesta über Mittag. Meist ist uns der Wind gut gesinnt und wir flitzen nur so durch die Landschaft. Aber auch Gegenwind gehört zum Programm. Wenn’s jeweils ganz arg wird finden wir manchmal Windschatten hinter Lastwagen die so schwer beladen sind dass sie nur 20km/h auf den Tacho bringen. Für uns optimal und um Welten einfacher als gegen den Wind zu kämpfen.
Am letzten Tag werden wir richtiggehend nach Jiuyuguan geblasen. 60 Kilometer in zwei Stunden… Gerade genug früh bevor sich die dunklen Wolken in Form von kräftigem Regen über der Stadt entleeren. Soll mal jemand sagen in der Wüste regne es nicht…

Zwei verirrte Velofahrer zu Fuss in China…
Unser 90 Tagesvisa für China läuft langsam aber sicher aus. Eine Visaverlängerung ist daher unausweichlich. Die vermeintlich richtige Polizeistation verlängert aber keine Visas. Kurzerhand werden wir in den Streifenwagen verfrachtet und um einige Ecken zum richtigen Ort gebracht. Nach einigem hin und her werden unsere Pässe dann bearbeitet und wir machen uns auf unsere Velos wieder zu finden. Unsere Orientierung scheint auf zwei Beinen nicht gleich gut zu funktionieren wie auf zwei Rädern und wir brauchen geschlagene zwei Stunden bevor wir unsere Stahlrösschen wieder in den Händen haben.

Corina, die Bioterroristin
Mangels Maionnaise und Senf kommt hier in China Tomatenpürre auf unsere Sandwich’s. Als sich gegen Mittag der Hunger meldet, schreitet Corina im Hotelzimmer zur Tat und macht ein paar Sandwich’s. Grundsätzlich ist das ja eine ungefährliche Angelegenheit, nicht aber dieses Mal. Das zwecks Gewichtseinsparung in eine Petflasche abgefüllte Tomatenpüree spritzt mit einem gehörigen Knall im ganzen Zimmer umher! Vor Sekunden noch weiss, ist nun alles rot gesprenkelt als hätten wir eine Kuh geschlachtet ;-) Nach einer Viertelstunde gründlicher Putzaktion sieht unser Hotelzimmer dann wieder bewohnbar aus und wir kommen doch noch zu unserem Mittagessen…
Merke: Tomatenpüree gärt bei warmen Temperaturen ;-)

Chinesische Mauer
Unser eigentliches Ziel ist ja das Ende der chinesischen Mauer hier in Jiayuguan. Inzwischen zwar ziemlich touristisch, aber trotzdem schön solch ein wichtiges Bauwerk von China mit eigenen Augen zu sehen. In früheren Zeiten war das chinesische Reich hier fertig, und die Mauer beschützte gegen die „Barbaren“ aus der Mongolei und Zentralasien.
Genau in diese Richtung geht’s nun per Bus weiter. Die Xinjiangprovinz ist bekannt durch die Seidenstassengeschichte und besteht zu einem Grossteil aus Wüste. Also nicht unbedingt geeignetes Veloland. Die 1200km holpern wir deshalb in zwei Tagen per Bus bis zu unserem Ziel Urumqi. Diese Milionenstadt ist bekannt dafür dass sie die am weitesten von jedem Meer entfernte Stadt der Welt ist. Hier beantragen wir das Visa für Kazakstan und Kirgistan. Da die gestressten Beamten eine geschlagene Woche brauchen um die notwendigen Stempel in unsere Pässe zu drücken machen wir noch ein kleines Velotüürli in die nahegelegenen Berge. (oder so dachten wir auf jedenfall)

Auf und ab durch den Tien Shan
Nach zwanzig Kilometer durch die Vorstädte von Urumqi entfliehen wir den hupenden und stinkenden Lastwagen, nicht zuletzt mit der Hilfe vom GPS. Mit Rückenwind gehts dann Richtung Berge. Urumqi liegt auf 800m in der Wüste aber schon in der Nähe türmen sich Berge bis zu 5000m auf. Unser höchster Pass ist 4000m, so sind einige Höhenmeter zu ertrampen…
Die Landschaft ändert innerhalb von einem Kilometer von wüstenhaft und trocken zu einer hübschen Voralpenlandschaft die ebensogut irgendwo im Appenzellerland sein könnte. Die Berge scheinen den Niederschlag geradezu anzuziehen. Nicht so richtig in die Vorstellung vom Appenzellerland mag aber das wilde Kamel passen, dass am Wegrand das saftige Grass geniesst;-) Nach dem Pass wird es dann ebenso plötzlich wieder wüstenartig wie es aufgehört hat. 30km über Schotterstrassen wo wir dank einigen Lastwagen nicht unerhebliche Mengen an Staub inhalieren, sind wir froh dass wir den Talboden erreichen. Dank der Lebensader in Form eines Flusses ist nun alles wieder grün und bewachsen. Am nächsten Tag verbessert sich unsere Laune nochmals schlagartig als wir von einem Autofahrer eine Melone geschenkt bekommen. Unerwartete Geschenke sind doch immer die besten, und tatsächlich ist es eine der süssesten Melonen die wir je genossen haben!

Hey Dokkkktorrr
Wiedermal heisst es in einem kleinen Kaff einkaufen. Ich probiere Gemüse einzukaufen, dass dann auch direkt aus dem Garten verkauft wird. Unterdessen ist Corina umringt von Neugierigen Kindern und Erwachsenen und zeigt einige Fotos von uns und der Schweiz. Unter hat es auch ein Bild von einer Ambulanz da ist den (russisch sprechenden) Einheimischen klar dass ich ein „Dokkktorrrr“ sein müsse. Prompt wird ein kurzer Gesundheitscheck in Form von einer Pulsmessung verlangt. Nach kurzem Pulszählen kann ich beiden eine gute Gesundheit bescheinigen, was sie dann zufrieden mit dem Griff zur nächsten Zigarette quittieren. ;-)

Allgemein merken wir dass wir hier inzwischen in einer anderen Kultur angekommen sind. Die Provinz Xinjiang ist zu einem Grossteil von Uighuren besiedelt, welche ursprünglich aus Zentralasien stammen und ihre eigene Sprache haben und mit der arabischen Schrift schreiben. Im Gegensatz zu den meist buddhistischen Han-Chinesen sind sie Muslime. Dies spüren wir an der schon sprichwörtlichen islamischen Gastfreundschaft.
Die Suche nach Brot bringt uns dann in ein Haus, und nach Tee und frischem Brot braucht es einige Überzeugungskunst dass wir zwar gerne ein wenig Brot kaufen möchten aber dass sie nicht extra ein Menu für uns kochen müsse. (Morgens um zehn…. ;-)

Sechs Zentimeter auf der Karte
Die vermeindlich kurze Rundtour die auf der Karte auch so aussieht, entpuppt sich dann als eine Fahrt über drei hohe Pässe. So kommen wir nach einer Woche mit müden Wädli wieder in Urumqi an und geniessen hier das Stadtleben, holen die Visas ab, kaufen Ersatzteile für das Velo und last but not least; gönnen uns ein gediegenes Zmorgenbuffet in einem edlen Hotel… Mhmmm!!!

Zum Schluss noch einige chinesischen Weisheiten:
Beim Fotolabor. Wir wollen einige Bilder entwickeln lassen und haben mit Photoshop auch einige Passfotos auf ein 10 mal 15cm Bild platziert. Bei all den Visas ist der Passfotoverbrauch gross… Für ein normales Bild will der Verkäufer 1 Yuan, für das gleiche Bildformat mit 8 Passfotos drauf berechnet er 10 Yuan! Seine dürftige Erklärung: es hat ja mehr Bilder drauf…;-) Mangels Argumenten lenkt er dann ein…

Im Velogeschäft: Corina braucht einen neuen Veloständer. Ohne zu Fragen wird dieser direkt montiert. Als es dann ums zahlen geht, will der Verkäufter 100 Yuan. Seine Erklärung: Das Velo sei mindestens 10‘000 Yuan wert, also könnt ihr auch mehr für den Ständer zahlen! :o) Ahm, nein! Also wieder abmontieren und zum nächsten Geschäft, wo wir 30 Yuan für den gleichen Ständer bezahlen. Dafür kann man uns hier keine Kette verkaufen, weil die Glasvitrine geschlossen ist. Den Schlüssel zu holen, wäre dann doch etwas zuviel verlangt…

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3 thoughts on “Im Westen viel Neues

  1. Hoi zämä

    wenn ich die Städte Lhasa und Ürümqi auf der Karte sehe – dann ist dies die grösste Reisedistanz, welche ihr mit einem Bericht beschrieben habt ! Eure Reiseschilderungen samt Fotos sind wirklich spannend und interessant zu verfolgen …

    Gruss Georg

  2. Hallo Corina & Philipp

    Vorweg: eine superschöne Homepage und irrsinnig schöne eindrückliche Bilder – Kompliment.

    Aber das beste ist, dass man Euere Reise mitverfolgen kann. Man ist richtig „dabei“! Da kommt richtiges Reisefieber auf.

    Weiterhin viel Glück und gute Reise und danke für die schönen Beiträge.

    Salids dil Grischun
    Jeannette

  3. Freue mich über noch mehr „chinesische Weisheiten“! Die gefallen mir sehr gut ;o) liebe Grüsse vo dr heimä, Simone

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